09.09.2022

Energiewende: Görlitzer Siemens-Werk geht in die Offensive

Ingenieure von Siemens Energy haben einen Druckluft-Energiespeicher entwickelt, der überschüssige Energie in komprimierte Luft umwandelt und in Rohren oder unterirdischen Hohlräumen speichert.

© SZ - Sächsische Zeitung, Foto: P. Glaser
Heben die Zukunft auf das Modell des Görlitzer Turbinenwerkes (v.l.): Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig, der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu und der Görlitzer Standortleiter Sven Werner

Die Zukunft im Görlitzer Turbinenwerk von Siemens Energy liegt ganz eng beieinander. In der Halle 4 schauen sich Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig und der Görlitzer OB Octavian Ursu an einer Seite das Produkt an, mit denen das Werk den Weltmarkt dominiert: Industriedampfturbinen. Überall, wo Dampf bei industriellen Prozessen entsteht, kann sie eingesetzt werden. Die Mitarbeiter des Görlitzer Werkes wissen genau, wie solche Turbinen gebaut werden müssen. Das ist ihre Kompetenz. Doch der Preiskampf auf diesem Gebiet ist enorm, die Zahl der Wettbewerber hoch, der Markt eng.

Genau gegenüber hat Werksleiter Sven Werner vor den Augen Duligs einen Film ablaufen lassen, in dem die Zukunft aufscheint. Das Görlitzer Werk will künftig nicht nur bei der Energieproduktion ein Wörtchen mitsprechen, sondern auch bei der Energiespeicherung. Dazu haben die Ingenieure einen Druckluft-Energiespeicher entwickelt.

Ohne solche Speicher wird künftig das Energiesystem nicht mehr funktionieren. Fotovoltaik-Anlagen oder Windräder liefern Strom unvorhersehbar und nicht immer dann, wenn er auch gebraucht wird. Ein Druckluft-Speicher-Kraftwerk wandelt überschüssige Energie in komprimierte Luft um, speichert sie in Rohren oder unterirdischen Hohlräumen. Wenn wieder mehr Elektroenergie benötigt wird, kann die Luft entspannt und in elektrische Energie umgewandelt und ins Netz eingespeist werden.

Kern der Anlagen sind Verdichter, Generatoren - und Turbinen. Das wiederum ist die Kompetenz, die die Mitarbeiter in Görlitz vor allem haben. Alle drei Komponenten fertigt Siemens Energy an verschiedenen Standorten und kann daher ein solches Kraftwerk als System anbieten.

Gespräche mit Interessenten aus Kanada, Saudi-Arabien und den USA laufen, im kommenden Jahr soll die erste Anlage verkauft werden. Doch die Görlitzer streben Referenzprojekte auch in Sachsen an, deswegen stehen sie mit dem Oberbergamt in Kontakt, um beispielsweise geeignete natürliche Salz-Kavernen in Sachsen zu ermitteln, wo solche Druckluftspeicher kostengünstig installiert werden können. Unterstützung von der Landesregierung erhoffen sich die Siemensianer auch, Dulig sichert sie zu.

Es wäre eine Zukunftsgeschichte, mit der das Görlitzer Turbinenwerk an die Öffentlichkeit tritt. Der Blick auf diesen traditionsreichen Industriestandort wird immer noch geprägt vom zwar erfolgreichen Kampf gegen die Schließung des Werkes vor fünf Jahren, aber auch dem Bild, hier würde Technik hergestellt, die aus der Mode gekommen ist. Im Januar vergangenen Jahres kündigte Siemens Energy einen weiteren Stellenabbau auch in Görlitz an.

Doch nun ist Sven Werner, der das Turbinenwerk seit zwei Jahren leitet, zuversichtlich, dass mit der neuen Technologie die 750 Mitarbeiter in Görlitz eine neue Perspektive erhalten. Der Vorteil: Nur wenige Konkurrenten können nach Ansicht von Siemens einen solchen Druckluftspeicher komplett liefern, dadurch ist auch der Preiswettkampf geringer, es bleibt mehr hängen, der Standort in Görlitz wird profitabler. "Ich verspreche mir davon, dass das eine wichtige Säule für den Standort wird", sagt Sven Werner.

Es wäre eine harmonische Weiterentwicklung des Turbinengeschäfts in Görlitz. Zugleich wird an dem Standort aber auch dank eines Zukunftspakts, zu dem sich Siemens, der Freistaat Sachsen und die Fraunhofer-Gesellschaft 2019 bekannten, ganz Neues getestet. Da steht das Wasserstoff-Testzentrum von des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) im Mittelpunkt. 20 Mitarbeiter wird es haben.

Zwar gibt es Verzögerungen bei dessen Aufbau, auch die geschätzten Aufbaukosten von 40 Millionen Euro haben sich erhöht. Aber Anfang 2023 soll die Testanlage stehen, mit der Hersteller von Anlagen für die Herstellung von Wasserstoff ihre Technik überprüfen können. Professor Welf-Guntram Drossel, Maschinenbauingenieur und seit acht Jahren Leiter des IWU-Instituts in Chemnitz, schreibt dem Görlitzer Testzentrum eine große Bedeutung beim Ausbau der Wasserstofftechnik zu. Bis zum Jahr 2030 soll die derzeit in Deutschland installierte Leistung zur Produktion grünen Wasserstoffs von 70 Megawatt auf 10 Gigawatt steigen, also auf mehr als das 100-fache. "Da muss die Industrie die Leistung so schnell hochfahren, wie wir es noch nie erlebt haben", sagt Drossel. Da alle unter hohem Zeitdruck arbeiten, ist es so wichtig, dass das Görlitzer Testzentrum Anfang 2023 in Betrieb geht.

Quelle: Sächsische Zeitung, Artikel vom 09.09.2022