15.11.2023

Dreht sich (doch noch) der Wind im Freistaat Sachsen?

23. Sächsischer Windenergietag beschäftigt sich intensiv mit Antworten zu Sachsens Energiewende

Der Tagungsraum im Leipziger Hyperion Hotel war den gesamten Tag über bis auf den letzten Platz besetzt. Deutlich mehr als 100 Teilnehmer aus der Windenergiebranche hatten sich zum 23. Sächsischen Windenergietag in Leipzig angemeldet, um zum einen dem hochkarätig besetzten „Referentenpool“ zu lauschen, sich aber auch mit den anwesenden Politikern und Fachleuten intensiv auszutauschen.

So wies Prof. Dr. Martin Maslaton, Vorstandsvorsitzender des BWE Landesverbandes Sachsen e.V., in seiner Begrüßung auf die nach wie vor recht schleppenden Genehmigungsverfahren hin, die trotz einer rot-grün-gelben Ampelkoalition im Bund, aber auch trotz einer grünen Regierungsbeteiligung im Freistaat Sachsen noch Luft nach oben hätten. „Einem Neubau von aktuell vier Anlagen in diesem Jahr stehen 13 Windkraftanlagen, die im gleichen Zeitraum abgebaut wurden, gegenüber. Mit gerade einmal 1.307 MW liegt der Freistaat Sachsen damit nur noch vor dem Saarland, Bremen, Hamburg und Berlin und ist damit bei den Flächenländern in Deutschland anerkanntes Schlusslicht“, so der Experte, der an der TU Chemnitz die Professur für das Recht der Erneuerbaren Energien innehat. Natürlich habe sich in der Zwischenzeit seit der Regierungsübernahme etwas bewegt, „aber es war schon ein weiter Weg bis zur bundesweiten Gesetzesänderung des ursprünglichen ‚Erneuerbare-Energien-Gesetzes‘ aus dem Jahr 2000“, so Prof. Maslaton weiter. Nun aber ist es seit dem 21. Juli 2021 in seiner derzeit gültigen Version in der Welt. „Bereits drei Wochen zuvor hatte die Regierungskoalition aus CDU, B90/Grüne und SPD des Freistaats Sachsen einen ihrer wichtigsten Programmpunkte auf den Weg gebracht, das EKP 2021, das Energie- und Klimaprogramm für den Freistaat“, wie Dr. Gerd Lippold, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft, hervorhob. „Zudem hat man im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode, in der es in Sachsen eine große Koalition aus CDU und SPD gab, und wo im Jahr jeweils durchschnittlich um die 15MW an Leistung genehmigt wurden, diese Zahl allein in diesem Jahr mehr als verzehnfacht. Wir liegen aktuell bei 150 MW genehmigter Leistung nur in diesem einen Jahr und haben den Trend definitiv weg von der über dreißig Jahre lang favorisierten Braunkohle endlich in die richtige Richtung gedreht.“

Doch betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre, scheint es, als sei immer noch gehörig „Sand im Ausbau-Getriebe“. Zu dieser Einschätzung gelangt zumindest Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Schlegel bei seinem Vortrag im Rahmen des Windenergietages. Schlegel, der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 für das Fachgebiet „Klimaschutz und Erneuerbare Energie“ im Landesamt für Umwelt und Geologie (LfUG) verantwortlich zeichnete, führt aktuell die WEA-Statistik für Sachsen und gibt eine monatlich aktualisierte Studie zu den sächsischen Windstromerträgen heraus. Wurden in den Jahren 2012 bis 2014 insgesamt noch 43 Windenergieanlagen (WEA) errichtet, waren es laut Hans-Jürgen Schlegel 2020 bis 2022 nur noch 15 WEA. Damit rangiert Sachsen mit einer Gesamtzahl von 864 WEA auf Platz zehn im bundesweiten Vergleich. „Der angepeilte EE-Stromanteil am Nettoverbrauch von 40 Prozent aus dem Jahr 2016 für den Zeitraum 2020 bis 2022 wurde somit deutlich verfehlt“, so Schlegel zur derzeitigen Situation. Die Windenergienutzung in den Landesdirektionsbereichen Chemnitz und Dresden seien jedoch mit 329 MW und 340 MW recht ausgeglichen. Lediglich der Direktionsbereich Leipzig mit 200 MW hätte sicher noch Luft nach oben. Besonders viele Windkraftanlagen befinden sich auf dem Gebiet des Landkreises Mittelsachsen. Landrat Dirk Neubauer, der seit August 2022 im Amt ist, verwies in seinem Beitrag darauf, dass es nicht ganz einfach sei, über dreißig Jahre hinweg festgefahrene Strukturen bei der Genehmigung von Windkraftanlagen zu lockern, oder gar schnell zu ändern. „Die Landespolitik hat sehr deutlich und nachdrücklich über drei Jahrzehnte fast ausschließlich auf die Braunkohle gesetzt und den Erneuerbaren kaum Platz eingeräumt. Das müssen wir jetzt nachholen, denn jeder Tag ohne eine Genehmigung ist in meinen Augen ein verlorener Tag. Ich versuche auch, meinen Bürgermeistern die Angst zu nehmen, denn allzu oft höre ich, wenn es um derartige Genehmigungen geht, dass die Bürger das angeblich nicht mittragen würden. Häufig ist es aber dann lediglich eine kleine, aber gut vernetzte Minderheit, die sich entsprechend lautstark in der Öffentlichkeit äußert, während sich die schweigende Mehrheit eher ruhig verhält und vielleicht gar kein Problem mit einer neuen Anlage hätte. Wir müssen die Bürgerschaft nur rechtzeitig mitnehmen. Dann steigt auch die Akzeptanz“, so der Politiker.

Dies bestätigte auch Dr. Jana Bovet. „Wir müssen viel intensiver und deutlich wahrnehmbarer mit den vielen positiven Beispielen an die Öffentlichkeit gehen und damit den Menschen die Angst vor dem vermeintlich Neuen und damit Unangenehmen nehmen“, so die Referatsleiterin im Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. „Der Normalbürger und inzwischen auch der eine oder andere in den verschiedenen Behörden und Ämtern durchschaut doch gar nicht mehr, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen koordiniert und kooperiert werden muss. Das muss transparenter und vor allem schneller und damit auch positiver nach außen vermittelt werden.“

Markus Pauly, Abteilungsleiter Projektentwicklung der JUWI GmbH, erläuterte in seinen Vortrag die Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Verbesserungen zur Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und der Verringerung von Rechtsunsicherheiten stehen jedoch Verschlechterungen wie beispielsweise der neuen Regelung zu den Nisthilfen sowie zu den Ersatzzahlungen gegenüber. Hier bleibt für den Gesetzgeber noch einiges zu tun. Rechtsanwalt Moritz Müller von der Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft mbH gab einen Überblick zu den Anforderungen an „Grüne Gewerbegebiete“. Herr Dr. Magerl, Hauptgeschäftsführer der IHK Leipzig, bekräftige, dass die standortnahe Vernetzung von Gewerbe und Industrie mit der Erzeugung der Energie aus erneuerbaren Quellen in seinem Tätigkeitsbereich an Bedeutung gewinnt.

Jutta Matreux, Leiterin des „WACKER Chemie AG“-Werks in Nünchritz, stellte in ihrem Vortrag die geplante Defossilisierung der Wacker Chemie vor. Dabei sollen neben Grünstrom auch grünes Silizium, fossilfreier Dampf und ein Ausbau der Elektrifizierung zur Klimaneutralität bis 2045 beitragen. Das Zukunftskonzept des Standortes Nünchritz baut dabei auf Abwärmenutzung, Elektrifizierung und Umstellung auf grünen Strom und Wasserstoff. Wichtig für eine Umsetzung dieser Maßnahmen sei schon jetzt die Deckung eines massiven bezahlbaren Grünstrombedarfs für Wacker, aber auch den Rest der energieintensiven Industrie. „Wir werden nicht um grünen Strom herumkommen“, so die Unternehmerin. Die entsprechenden Anforderungen seitens der Industrie sind bekannt und schon heute werden zahlreiche Investitionsentscheidungen auch vor dem Hintergrund getroffen, ob am vorgesehenen zukünftigen Standort auch die entsprechenden Strukturen in Hinblick auf Ökostrom vorhanden sind, oder eben nicht.“

Weitere Infos: www.wind-energie.de und www.maslaton.de